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Notabene von Chris von Rohr

«Schlechte Verträge»

Musiker, Produzent und Autor Chris von Rohr schreibt in seiner Kolumne darüber, warum der Brexit nicht gelingen will.

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Symbolbild Brexit
(c) Dukas

Scheiden tut weh … Warum wollten die Engländer eigentlich aus der EU? Eine Mehrheit der Briten hatte nebst der ungesteuerten Migration Mühe damit, dass ihr demokratisches Selbstbestimmungsrecht von der Europäischen Union in wachsendem Mass beschnitten wurde. Auch fühlen sich viele auf der Insel mehr dem Commonwealth als Europa verbunden. Dazu störte sie eine gewisse Unehrlichkeit im ganzen EU-Projekt, wo sich einzelne Länder nicht mehr an festgeschriebene Abmachungen halten. 

Nichts gegen Europa, im Gegenteil, aber diese EU-Führung – Stand jetzt – will einfach noch nicht begreifen, dass man keine politische Union gegen den Willen der Regierten durchsetzen kann, in der die Leute das Gefühl bekommen, in ihrem Alltag zwangsbestimmt zu sein. Die unzähligen Funktionäre, die das Sagen haben, ohne je Verantwortung übernehmen zu müssen, sorgen für grossen Unmut. Dringend erwünscht wäre eine echte Freihandelszone, um den Euro und die Schuldenpolitik in den Griff zu kriegen, statt andere Länder ständig mit sinnlosen Gesetzen, höheren Steuern und Regulierungen zu schikanieren. Also zu dem zurückfinden, als was die EU ursprünglich geplant war: als starke, friedliche, sinnvolle, aber lockere Verbindung von 500 Millionen Menschen und 28 Ländern. Die dringend nötige Reform lässt aber eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten. 

Warum will dieser Brexit nicht gelingen? Weil Frau May wie die meisten Parlamentarier und Eliten von Anfang an gegen den Brexit war – und genauso lasch wurde auch verhandelt. Blöderweise hat das Volk für einen Ausstieg gestimmt, und jetzt hat man einen Deal auf dem Tisch, der das Land noch schlechter aussehen lässt, als wenn es in der EU bleiben würde. Nur eine Handvoll der Verantwortlichen getraut sich, auf einen «no deal» zu setzen. Und es fehlen auch die glaubhaften Politiker, die das erfolgreich durchsetzen könnten. Führungsfiguren, die wissen, dass ein «no deal» nie und nimmer «kein Deal» heisst. Es gelten WTO-Regeln, und es gibt IMMER einen Deal, weil die Gegenseite ebenfalls vom Handel profitieren will. Aber man kennt es: Politiker verweigern zunehmend das Umsetzen unangenehmer Volksentscheide. 
 

Ein Trauerspiel, das ein ganzes Land spaltet 

Zurzeit passiert das, was immer passiert, wenn gewisse Staatsmänner und Medien nicht mehr weiterwissen mit Argumenten: Sie schüren die Angst. «Project fear» nennt sich das. Ein Trauerspiel, das mit abenteuerlich recherchierten Fakten, Zahlen und Spekulationen ein ganzes Land ins Elend redet und spaltet, obwohl man eigentlich wissen müsste, dass Angst der schlechteste aller Ratgeber ist. Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal, sagte Theresa May mal. Sehr wahr, aber sie handelt leider völlig anders. Ich hoffe für dieses Land, dass es möglichst bald aus dieser Uneinigkeit rauskommt, keine falschen Kompromisse macht und entnervt falsche Panikverträge unterschreibt. 

Nein, niemand will sich abschotten, alle wollen freien Handel, Frieden und Wohlstand, aber sicher nicht unter einseitigen Bedingungen und unter EU-GERICHTSBARKEIT. Es gibt weltweit kein Land, das für einen Marktzugang eine Anpassung des eigenen Rechts verlangt. Wenn Verhandlungen zu Diktaten verkommen, sollte man gewarnt sein, ausser die, die an zentralistische Machtballung glauben und selbst vehement davon profitieren – also Finger weg. Neue Abmachungen sollten allen zugutekommen und vor allem jenen Werktätigen, die jeden Morgen aufstehen und harte Arbeit verrichten, um ihre Familien durchzubringen. 

Genaues Hinschauen lohnt sich

Was kann die Schweiz aus diesem Trauerspiel lernen? Es werden mittels Erpressungen und Angstmacherei KEINE miesen Deals unterschrieben! Und es empfiehlt sich allzeit, genau hinzuschauen, welche Interessengruppen hinter welchen Positionen stehen – gerade beim ständig geforderten Rahmenvertrag mit der EU. Eine grosse Macht in der Politik haben mittlerweile die Lobbyisten und sogenannten Konzernkapitalisten plus einzelne Wirtschaftsverbände und Banken. Ihnen geht es nicht darum, wie es dem Land und seinen Menschen langfristig geht. Sie handeln aus purem Eigennutz und wollen möglichst unkompliziert billige Arbeitskräfte von hier nach dort schieben. Seien wir also wach, selbstbewusst und vor allem erst einmal ruhig. Ausharren ist oft besser, als aus falschem Gehorsam undurchdachte Deals zu unterschreiben. 

Armes England: Trennungen oder Scheidungen sind nie einfach – und wer denkt beim Einstieg schon an den Ausstieg? Ich höre die Worte von Schiller: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.

Von Chris von Rohr am 8. April 2019 - 17:11 Uhr